«Eine Entscheidung aus dem Bauch heraus», «Emotionen sind wahre Entscheider», «Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen» – Zitate wie diese finden sich zuhauf im Internet. Womit entscheiden wir, wann, und aus welchen Intentionen heraus? Der Mensch trifft rund 20'000 Entscheidungen am Tag. Eine eindrückliche Zahl, welche Anlass gab, den diesjährigen Wirtschaftsapéro der Stadt Amriswil mit dem Thema «Entscheiden unter Druck» zu spicken.
Über die Entscheidung, Rad zu fahren
Was lässt sich in neun Tagen, elf Stunden und sechs Minuten alles machen? Einen schönen Urlaub zum Beispiel, zahlreiche Überstunden oder auch einige Verwandtschaftsbesuche. Isa Pulver nutzte genau diese Zeit, um einmal quer durch Amerika zu fahren – mit dem Fahrrad versteht sich. Die Ultracyclistin war Gastreferentin am Wirtschaftsapéro und erzählte am Dienstagabend von ihrem Weg zum Radsport und ihren grössten Erfolgen. Pulver hat mit 40 ihr erstes gutes Velo gekauft. Normale Strassenrennen schienen aber zu wenig zu sein. Nonstop-Rennen über mehrere Tage, ab rund 500 Kilometer, ohne Schlaf und möglichst ohne Pausen – das ist ihre Disziplin. Bereits drei Mal hat sie am Race across America (RAAM) teilgenommen. Der Radmarathon in Form eines jährlich ausgetragenen, ultralangen Radrennens führt von der Westküste der Vereinigten Staaten zur Ostküste. Ziel ist es, auf einer variierenden Route die Strecke von etwa 4800 bis 5000 Kilometer bei einer Gesamthöhendifferenz von rund 52.000 Metern innerhalb eines festen Zeitlimits zurückzulegen. Von ihren drei bisherigen Teilnahmen hat Pulver das Rennen zwei Mal gewonnen, einmal wurde sie dritte. Die eigenen Grenzen laufend bewegen – für die Sportlerin Herausforderung und Motivation zugleich. Die erstaunten Gesichter der rund 110 Wirtschafts- und Politikvertreter erzählten tausende Geschichten. Mit einer einfachen Frage brachte Stadtpräsident Gabriel Macedo die Gedanken der meisten Zuhörenden auf den Punkt: «Wieso?» Eine Frage, mit der Extremsportler wohl öfters konfrontiert werden. Isa Pulver arbeitet als Physiotherapeutin und dabei häufig mit Menschen mit Beeinträchtigung. «Für diese Leute ist es selbstverständlich, dass sie tagtäglich an ihre Grenzen gehen», erklärt sie. Wo aber sind denn ihre persönlichen Grenzen? So kam sie in den «Ultra»-Sportbereich und entschied sich gegen den für sie unbequemeren Laufsport und für den Radsport. Aktuell ist sie bereits wieder in den Vorbereitungen für das kommende Jahr. Für drei Teilnahmen hat sie sich entschieden. So wird Isa Pulver 2025 am Start des Rad Race across Italy, zum vierten Mal am Race across America und an den 6-12-24 hours Championships teilnehmen.
Wohlüberlegt zu entscheiden, lohnt sich
Reto Blum ist Entscheidungsarchitekt. Als zweiter Referent gab er am Dienstagabend Tipps, zeigte Tricks auf und führte den Anwesenden mit einfachen Experimenten vor Augen, wie wir uns bei einigen Entscheidungen schlicht selber im Weg stehen. Das Entscheiden kann und will gelernt sein. Gute Entscheidungen zu treffen, ist nicht nur für Wirtschaftsleute zentral, sondern für jedereins. Wann wirkt der Kopf, wann der Bauch? Entscheidungen besonnen und überlegt zu treffen, bedarf an Anstrengung. Entscheide aus dem Bauch heraus hingegen fallen oft leichter, schneller, ohne sich vorab gross zu informieren. «Zum Glück haben wir die beiden Möglichkeiten. Undenkbar, die rund 20'000 Entscheidungen jeden Tag wohlüberlegt und rational zu fällen», so Blum. Er versteht die Wirtschaft als Resultat der Entscheidung aller Marktakteure, und Unternehmen als die Summe aller Entscheidungen ihrer Mitarbeitenden. «Viele unserer Entscheidungen basieren nachweislich auf Annahmen und Meinungen und führen oft zu schlechten Resultaten und Misserfolgen», erklärt er. Daher sei es an der Zeit, diese Entscheidungsmuster durch Fakten und Evidenz zu ersetzen. Beides liefert die Verhaltensökonomie. «Wir müssen es nur nutzen», sagt er. Diese Theorie zeigt er am Dienstagabend an einigen eindrücklichen Experimenten. Ob die Wahl von Lottozahlen, das Fangen eines Papierfliegers oder aber das Erhoffen eines Geldgewinns – abstrakt aber einfach zeigten die Interaktionen auf, dass es sich doch lohnt, ab und an (und eigentlich in den meisten Fällen) sich etwas mehr Zeit zu nehmen, Entscheidungen zu treffen, auch mal Hintergründe zu analysieren, Fakten zu sammeln, Gesagtes zu hinterfragen. Fundierte Entscheidungen zu treffen ist anstrengend, lohnt sich aber.